Im Wohnzimmer des Arztes von Kitzeck hängt ein altes Bild, das eine Türkenschlacht zeigt. In der Darstellung, einem barocken Getümmel, treffen Leben und Tod - die beiden ständigen Partner des Arztes - in stilvollem Rahmen zusammen, sozusagen auf neutralem Boden. Doch von den Hintergründen, welche die Gegner auf dem Schlachtfeld zusammengeführt hatte, ist auf dem Bild nichts zu erahnen. Das gilt ebenso für die zweite Darstellung einer Türkenschlacht in der kleinen Rundkapelle, die oberhalb der Stadt Leibnitz am Seggauberg steht. Am Schnittpunkt des schmalen Fußweges mit der Auffahrt zum Schloß Seggau. Das Schloß selbst steht als wuchtiger Bau über dem Murfeld, beherrschend und von der Allmacht Gottes zeugend. Doch eben diese Vorstellung war es, die ein halbes Jahrtausend zuvor christliche Kreuzfahrer in das Morgenland ziehen ließ, um den Heiden den wahren Glauben zu bringen. Und nun standen also diesmal die Türken vor den befestigten Städten des christlichen Abendlandes, um den Ungläubigen -wie sie die Andersdenkenden nannten -den wahren Glauben aus ihrer Sicht zu bringen. Und da niemand weiß, wo Gott wirklich wohnt, tat jeder, was er für richtig hielt: den jeweils anderen mit Gewalt zu überzeugen. So schrecklich und grausam waren die wiederholten Türkeneinfälle, daß sie neben der Pest und neben ungeheuren Heuschreckenschwärmen, welche das Land verheerten, zu den drei großen „Landplagen" der steirischen Geschichte zählen.

Doch es gibt kein Ungemach auf dieser Welt, das nicht auch ein Körnderl an Gutem enthielte. Und in diesem Falle ist das Sprichwort sogar wörtlich zu nehmen: Die Türken brachten uns neben dem Kaffee auch den Kukuruz mit, der bald darauf zu einem der wichtigsten Nahrungsmittel in den ausgehungerten Ländereien werden sollte.

Um 1620 wird der Mais erstmalig schriftlich erwähnt, meist „Türkischweizen" genannt - daher also die Bezeichnung „WOAZ". Und die Bezeichnung „Kukuruz" leitet sich von den Kuruzzen ab, einem Volksstamm, der sich den Türken anschloß und womöglich noch gefürchteter als diese war. Die Verwünschung „Kruzitürken" ist dabei von doppelter Qualität, weil sie die Kuruzzen samt allen Türken einschließt.

Im Laufe von drei Jahrhunderten ist nun der „Türken" heimisch und als „Türkensterz" ein echter Steirer geworden. „Die gelbe Gefahr" oder auch „Hendelfutter" nen-

 

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  nen ihn die Nichtsteirer, aber diese Armen verstehen halt nix von der Köstlichkeit, zu der er, aufgeröstet und mit Grammelschmalz übergossen, zubereitet wird. Heute erntet man den Kukuruz maschinell; im Handumdrehen ist ein ganzes Maisfeld abgeerntet und die Maiskörner bereits abgerebelt im Anhänger verstaut. Früher jedoch war das „Woazschäln" eine langwierige, wenn auch fröhliche Arbeit. Hiebei mußten die „Federn", die Deckblätter des Maiskolbens, entfernt werden, um die Körner abrebeln zu können. Es war dies im Herbst nach der Ernte die erste Arbeit im Haus, zu der alle Nachbarn eingeladen wurden. Und nachdem jeder Bauer seinen eigenen Kukuruzacker hatte, ging das Woazschäln rundum, von Haus zu Haus. Auftakt zu fröhlichem Beisammensein in den langen Winternächten. Und wie es dabei zugeht, kann ich mit der Feder, aber auch mit dem Pinsel erzählen:


Komm ich doch da zufällig eines Abends an einem Bauernhaus vorbei, in dem ausgelassene Fröhlichkeit herrscht, mit Musik und Gelächter, mit emsigem Treiben im und ums Haus. Ein unglaublicher Kontrast zu der stillen Vollmondnacht, in welcher rundum die Höfe in beschaulicher Ruhe liegen. Die Neugier treibt mich hinein in die Stube. Und obwohl ich niemanden von den Anwesenden kenne, werde ich vergnügt und freudig begrüßt, eingeladen zum Woazschälen. Augenblicklich bin ich von der Szene fasziniert, hingerissen von all dem, was sich um mich herum abspielt. Und möchte es festhalten, aber ich habe keinen Skizzenblock bei mir, kein Arbeitsmaterial, nicht einmal einen Bleistift. Aber auch im Haus findet sich kein Schreibpapier, kein Notizblock, rein gar nichts. Doch, etwas, ein Stumperl von einem Bleistift. Und mit diesem Behelf mache ich die Skizzen zum Bild auf allem, was sich in meiner Brieftasche findet und eine leere Rückseite hat: eine offene Rechnung, bezahlte Erlagscheine, ein Strafmandat wegen Parkzeitüberschreitung und ein Notizzettel. Und während ich versuche, damit auszukommen, schenkt der Hausherr bereits das nächste Glas randvoll ein, nicht ohne hoffnungsvoll zu fragen: „Da krieg i aber a Bildl, wann's fertig is, ha?"


Und er bekam es - selbstredend! War er doch der Letzte im Sausal, der an diesem schönen alten Brauch festhielt.